Taufe

MS „Ronneburg“

Die Geschichte (m)einer Äquatortaufe

Wie üblich werde ich, wenn ich mich im Heimaturlaub befinde per Telegramm von Frau Glaab (die Dame ist für die Crewbesetzung der Manschaften verantwortlich) informiert, wann und wo ich mich zur nächsten Reise einzufinden habe! Lapidar steht auf dem Telegramm „…in Wismar anzutreten!“ Ich ahne doch schon, dass es nach Südamerika geht, weil in Wismar meistens Ladung für Südamerika (Kali) bereit steht. Frohen Mutes steige ich auf und muss doch die Hiobsbotschaft vernehmen „…es geht nach Brasilien!“ Bei aller Freude, damit ist natürlich auch die Äquatortaufe verbunden und man hat ja schon so einiges gehört.

Angenehmer Start

Die Reise beginnt recht angenehm, ich teile mir wieder mal mit „Schmidti“ eine Kammer. Am Beginn der Reise kommt es recht oft vor, dass man von dem einen oder anderen Täufer (das sind die, die einen bei der Taufe quälen dürfen) gefragt wird, ob man denn nicht mal auf das Steak oder das Eis beim Essen zu Gunsten der Täufer verzichten möchte. Nun, der Äquator ist noch weit, und was geht mich sein Appetit auf Steak und Eis an? Die Stimmung an Bord gegenüber den Täufern kann man noch als recht aufmüpfig bezeichnen. Dies ändert sich bei 99% aller „Deliquenten“ zusehends von Tag zu Tag, je näher der Äquator rückt. Bezeichnendes Beispiel ist das 200 Liter Fass, welches immer an Deck in der Sonne steht und sich täglich mit den Essenresten der Besatzung füllt. Zur besseren Gärung gibt unsere Bäckerin ab und zu etwas Trockenhefe in den Sud.
2 Tage vor erreichen des Äquators hat sich das Blatt zunehmend gewendet, die zu Taufenden bitten doch die Täufer das Steak oder das Eis zu nehmen, man könne ja auch mal verzichten. In der Manschaftsmesse steht eine Truhe in der jeder Täufling täglich oder stündlich, je nachdem wie groß die Angst ist, einige Gaben in Form von hangeschriebenen Zetteln einwerfen sollte, was er denn bereit sei zu spendieren um unser aller Wassergott Neptun gnädig zu stimmen. Das geht über eine Schachtel Cabinet, eine Flasche Bier oder ähnliches. Es ist natürlich so, wer eine Flasche Bier oder Schachtel Cabinet spendiert, kann auch ganz schnell in Ungnade fallen, denn solche Kleinigkeiten sieht Neptun als Verar….ung an. Es sollte doch schon ein Kasten Bier oder besser noch Schnaps aus der Transitlast sein.

Der Abend vor der Äquatortaufe

Der Abend vor der Taufe war eigentlich recht gemütlich…! War!
Was ist das…?! Ich liege in der Koje und ein Geschreie geht durch die Gänge. Das Schott wird aufgerissen, und ich werde von zwei Täufern unter Peitschenhieben (aufgeschnittene Festmacherleine in rote Farbe getunkt) aufgefordert, auf allen vieren aufs Hauptdeck zu kriechen und wie ein Hund zu heulen bis der Mond vorkommt! Zu diesem Zweck wurde auf dem hinteren Hauptdeck neben Luke fünf eine weiße Linie gemalt, an der alle Täufer sich hinzuhocken haben. Gott sei Dank, war der Himmel nicht so bewölkt. Also wieder rein in die Kammer.

Die Taufe!

Man kann ja sooo gut schlafen vor so einem Tag. Der erste Blick nach dem Aufstehen gilt der Kammertür, was denn draußen dransteht. Wer ein großes „S“ an seiner Tür zu stehen hat, der weiß, dass er derjenige ist, welcher alle Folterstationen zweimal durchmachen muß. Und zwar als erster zum Test, dass auch alles funktioniert und als letzter, wenn die meissten Täufer schon keinen klaren Blick mehr haben.
Puh…! Mich hat´s nicht getroffen! Peter Hebecker seines Zeichens Maschinen-Ing-Praktikant darf sich freuen!

Harzer Käse und faule Eier

Das ganze Gesindel von Täufern treibt die Meute (ich glaube wir waren 18 Mann inkl. 2 Frauen) nach achtern in den Trockenraum. Dieser befindet sich direkt über der Schiffsschraube und ist wie fast alles auf dem Schiff aus Stahl und hat kein einziges Bulleye (Fenster). Vor dem Niedergang (es ging ja abwärts in den Trockenraum) wartete der E.-Mix mit altem Harzer Käse dessen Haltbarkeitsdatum dem Gestank nach schon vor dem 1. Weltkrieg verfallen war. Nun bekam jeder eine Portion dieser übelriechenden Masse in die Haare geschmiert, wegen der guten Haftung.
Da sitzen wir nun auf dem Boden. 18 Täuflinge auf 3m mal 3m manchmal ohne Licht und manchmal aufschreckend, weil wieder jemand mit dem Hammer gegen die Wand schlägt. Die Täufer tun sich gerade gütlich an unserem Frühstück. Wir haben noch nichts bekommen. Warum auch, es wäre bei dem Gestank sowieso nicht drinnen geblieben. Ab und zu wirft unser E-Ing. Udo Heunemann einen Blick in den Trockenraum, um sich auch zu vergewissern, dass seine soeben reingeworfenen faulen Eier seine Wirkung auch nicht verfehlen. Ein großes Lob an dieser Stelle an unsere beiden Mädels, die alles standhaft mitgemacht haben.

Jeder wurde einzeln geholt und dann gequält

Es ist gegen 09.00 Uhr da beugt sich unser „Kabelede“ über´s Schanzkleid und „übergibt“ dem Meer sein Frühstück. Strafe muß sein, dachte ich, erst frisst der uns unser Frühstück weg, und jetzt nachdem er in der Nähe des Trockenraumes in der Bilge peilen mußte und der übelriechende „Duft“ ihm in die Nase stieg, folgte genannte „Frühstücksübergabe“ an das Meer!
Einen genauen Beginn der Taufe kann ich nicht beurteilen, da ich ohne Uhr und ohne Zeitgefühl in dem Trockenraum auch mit meinem leeren Magen zu kämpfen hatte. Nach unendlich langer Zeit ging es los! Wie gesagt Peter war der erste. Die Schilderung der einzelnen Stationen kann ich nur aus meiner Sicht widergeben, da ich die anderen nicht sehen konnte, da jeder einzeln aus dem Trockenraum geholt und dann gequält wurde.

Unter Peitschenhieben

Unter Peitschenhieben (keine Angst die war nicht ganz echt) werde ich den Niedergang raufgetrieben. Immer in demütiger gebückter Haltung vor Neptun. Als erstes bekam ich ein Fisch in den Mund und musste durch ein mit Seewasser gefüllten mit beiden Enden nach oben gerichteten ca. 2m langen Schlauch (Durchmesser war ungefähr 150cm) kriechen um am anderen Ende den Fisch immer noch zwischen den Zähnen haltend unserem Bootsmann Billig vor sein C-Rohr zu laufen, dass natürlich kräftig, schönes salziges Meerwasser von sich gab, natürlich mitten ins Gesicht.

Zum „Frisör“

Dann wartete schon der E-Mix mit einer Folterbank, auf die ich geschnallt wurde und jagte mir mit seinem Kurbelgerät ständig Strom durch meinen armen Körper (…und ich Idiot hab am Vortag dieses Kurbelgerät noch getestet und Udo unserem E-Ing. gesagt, dass es nicht funktioniert, da es wirklich keinen Strom von sich gab). Ständig wurden mir irgendwelche Kekse versucht in den Mund zu stecken, die schon rochen wie eine Mischung aus altem Käse und Schweinemist (war eine Glanzleistung unserer Bäckerin Bianca). Man hatte dann aber ein Einsehen, bevor ich die Täufer mit nicht vorhandenem Mageninhalt „anbrüllen“ würde. Danach ging es zum „Frisör“ in Person meines langjährigen Lieblingskollegen Renald Schmidt. Also rein in das 200 Liter Fass voller alter Essenreste. Erst mit dem Kopf, dann der ganze Körper. Am Ende schaute der Kopf noch raus und bekam eine Holzspange (ähnlich des Prangers im Mittelalter), in die beide Hände und der Kopf geklemmt wurden. Nun konnte der „Frisör“ den Kopf nach Lust und Laune bearbeiten. Eine Beschreibung der Frisur ist unmöglich!

Taufbecken

Danach ab ins mit Seewasser gefüllte Taufbecken. Da wartete schon wieder Bootsmann Billig auf mich! Ich glaube es war für ihn eine Befriedigung mich so zu quälen. Nach unendlichen Versuchen mein Kopf schön lange unter Wasser zu halten, gaben sie an dieser Station endlich auf! Doch es wartete noch die schöne Frau von unserem Meeresgott auf mich! Sie hielt mir ein halbvoll gefülltes Wasserglas mit warmen Gin hin, dass auf „ex“ getrunken werden mußte. Anschließend sollte man ihr unbedingt den Fuß küssen. Der Fuß war eine Taucherflosse auf der eine reichliche Menge Labsal (klingt gut, ist aber alles andere und wird zum Einfetten von stehendem und laufendem Gut verwendet u.a. auch aus Pferdefett) aufgebracht war. Vorsichtig mit spitzen Lippen, um ja nicht soviel von dem Zeug abzubekommen, nähert sich mein Mund der Flosse. Wahrscheinlich war ich zu vorsichtig. Denn nachdem ich fast mit den Lippen die Taucherflosse berührt hatte, klatschte es in meinem Gesicht. Die Bäckerin hatte nochmal so richtig ausgeholt, damit auch mein ganzes Gesicht von der „Masse“ was hatte. DANKE!!!

Zu guter Letzt

Zu guter Letzt hörte ich noch meinen nicht mehr ganz so klaren Taufnamen, da auch unser Chiefmate Dall (Neptun) schon so einiges an Alkoholika zu sich genommen hatte. Jetzt hieß es nur noch Hose runter und ab unter die Dusche. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle noch, dass an jeder Station ein Helfer Neptun´s stand und von jedem milde Gaben aufschrieb, die er bereit war auszugeben, damit die Folter nicht so „grausam“ ausfällt.

Nach der Taufe

Es versteht sich von selbst, dass ein leerer Magen ein halbvolles Wasserglas mit warmen Gin nicht behalten kann…!
Wer jetzt glaubt der „Taufschein“ wäre sicher, der irrt! Jetzt folgt der gemütliche Teil. Alle Getauften haben jetzt ein Kulturprogramm zur Belustigung der Besatzung vorzutragen. Dann wurden einem die „Taufscheine“ ausgehändigt, unter der Bedingung, dass man noch seinen Taufnamen weiß!
Am Ende der Taufe wird dann alles was vom Auslaufen bis zur Taufe an „Spenden“ an Neptun eingegangen ist, VERSOFFEN!!!

Ich möchte darauf hinweisen, dass keiner der Getauften körperliche Schäden davongetragen hat und die Sicherheit unseres Schiffes zu jeder Zeit gewährleistet war! Ob jemand durch die anschließende „Angleichung“ aller Frisuren (fast GLATZE) seelische Schäden genommen hat, kann ich nicht beurteilen. Im Gegenteil die Brasilianerinnen hat´s gefreut.

Da ich von dieser Reise keine Crewliste mehr habe und mein Gedächtniss trotz meiner Jugend nicht mehr alle Namen behalten kann, will ich mich bei allen, angefangen vom Kapitän bis zum Lehrling bedanken. Für alle die vergessen haben wann die Reise war, sie ging von September 89´ bis Dezember 89`

Ich sage nur „SANTOS“!!!

Text und Fotos: 2016 © Michael Kretschmar

Ein paar Erinnerungen

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